Doch fast wäre er zur Staatsaktion geworden.
Der vorzeitige Tod als Dienstleistung für alle, ausgeführt von staatlich geprüften Fachleuten
Das Gesetz hätte nämlich verrechtlicht, was noch gar nicht begriffen ist: die Sterbehilfe.
Das Gesetz hätte Fakten geschaffen, ohne die Abgründe dieser Fakten auszuloten.
Keineswegs leuchtet es ein,
warum das Sterben zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein Vorgang
sein soll, der der Hilfe bedarf.
Zu Tode kommt jeder Mensch – und dank avancierter
Palliativmedizin fast nie unter schlimmen Qualen. Das
Schreckensszenario, das die Sterbehilfebefürworter grell
ausmalen, bleibt in weiten Teilen Fiktion, und Anteilnahme
lässt
sich sowieso nicht kodifizieren.
Noch weniger leuchtet es ein, weshalb eine
Gesellschaft, der es so gut geht wie nie zuvor und vielleicht
nie wieder, den Tod von einem intimen, höchst individuellen
Abschied zu einer Staatsaktion machen soll.
Das im gescheiterten Gesetzentwurf intendierte
Verbot „gewerblicher“ Sterbehilfe
hätte die „organisierte“ Sterbehilfe
als Königsweg der Lebensbeendigung inthronisiert. Dadurch, so
der Medizinethiker Axel W. Bauer jüngst im „Deutschlandfunk“,
hätte man die organisierte Suizidbeihilfe geradezu geadelt.
Ein flächendeckendes Netz staatlich
geprüfter Sterbeexperten und Tötungsspezialisten entstünde.
Der neu
gefasste
Paragraph 217 im Strafgesetzbuch würde zur
„diskreten Ermahnung, sich jederzeit zu überlegen, ob man
nicht bald gehen sollte“ – befürchtet der Publizist Andreas
Krause Landt
in seinem soeben erschienenen Essay „Wir sollen sterben
wollen“.
Warum aber will der Staat mit diesem
Ansinnen an seine Bürger herantreten?
Laut Landt
sind „Pflegenotstand, Fachkräftemangel und explodierende
Krankenkosten“ die wahren Treiber der Bestrebungen, den
vorzeitigen Tod zur Dienstleistung für alle zu machen.
„Wer wird noch weiterleben wollen“, fragt er, „wenn er
erfährt, dass
die Verwandten bereits ‚unverbindlich‘ Kontakt zu einem
Sterbehilfeverein aufgenommen haben?“ Offenbar soll die
Sterbehilfe ein kollabierendes Gesundheitssystem entlasten.
Aber sind es etwa nicht Lebensmüde,
deren freier Wille durch Sterbehilfe umgesetzt werden soll?
Nein, keineswegs.
Axel W. Bauer weist darauf hin, „dass
weit über 90 Prozent aller Suizidenten letzten Endes unter
einer klinischen Depression leiden.“ Sie befänden sich „in
einer ausweglosen Lage, in der sie Hilfe bräuchten und
nicht (…) den kostenlosen Todesstoß.“ Den Staat ficht
derlei nicht an. Er trägt der „dramatischen Verschärfung des
ökonomischen Klimas“ (Landt)
Rechnung, wenn er den Tod auf Bestellung in sein
Tugendportfolio aufnimmt. Die Unbedenklichkeit, mit der
„nahestehende Personen“ über den vermuteten Lebenswillen des
Moribunden urteilen sollen dürfen, spricht Bände. Verbürgt
Nähe etwa automatisch lautere Gesinnung, edle Motive,
menschliche Einfühlung?
Auch aus erbender Nähe kann der Ruf erschallen:
Lass dich
doch abholen.
Vorerst wird dieses Szenario nicht
Wirklichkeit. Eine Atempause ist gewonnen. Sie sollte klug
genutzt werden. Das Reden über den Tod berührt eine
Gesellschaft an ihren vitalsten Stellen.
Sterbehilfe, diese „Euthanasie an Selbstmordkandidaten, die
nicht die Kraft zum Selbstmord haben“ – so noch einmal
Landt –, hat
einen desto verführerischeren Klang, je stärker sich der
Einzelne lebenslang als hilfsbedürftig, abhängig, wenig
autonom empfindet.
In einer guten Gesellschaft gäbe es hie und da den Suizid als
singuläre Tat der Wenigen und ansonsten ein starkes Zutrauen
zum Leben, ein Vertrauen, nicht allein gelassen zu werden, ein
Besinnen auf sich selbst.
Ein Staat, der im Namen vermeintlicher Autonomie das Räderwerk
der Gesetze in Gang bringt, zementiert die Abhängigkeiten, von
denen er sich nährt. Jede organisierte Sterbehilfe festigt die
Strukturen der Unfreiheit.
Quelle: Redaktion CICERO
ONLINE, 22.1.2013